Düstere Göttersaga

Ein kohlrabenschwarzer, in Ketten gelegter Prometheus klettert die Stiege im Foyer des i-camp hinab, verfolgt von rächenden Erinnyen, die ihm mit schrillen, sirenenhaften Acapella-Arien nachstellen. Wie in einer Prozession folgt das Publikum diesem unheimlichen Gespann in den Saal, wo auf der Bühne ein weiß geschminkter Prometheus über halbe Ewigkeiten kopfüber von der Decke hängt- Hinter ihm Zeus irn Ledersessel, mit extradicker Zigarre im Mund, der gelang- weilt per Fernbedienung den Aufgehängten herablässt und wieder heraufzieht, dessen schmerz- und qualvolle Zuckungen allenfalls mit einem Rauchring quittiert. "Prometheus -die Entscheidung", der letzte Teil von Stefan Maria Marbs Antiken-Trilogie, zeigt in klassischen fünf Akten den ultimativen Showdown zwischen dem rächenden Göttervater und dem Halbgott, der den Menschen das verbotene Feuer gebracht hat.
Auch wenn Marko Ibscher den Zeus als Mischung aus papsthaftern Greis und eiskaltem Manager im Jackett gibt, geht es Marb um keine Deutung, um keine Aktualisierung des griechischen Mythos. Er reduziert die Geschichte auf ihre nackte Basis, zeigt fünf kaum belebte Bilder, die durch die Statik der minutiösen Körperbeherrschung der prägenden japanischen Butoh-Technik verstören, irritieren, lähmen. Statt emotionslastigern Psycho-Ausdruckstanz sind Zuckungen, Verspannungen, Kontraktionen und Körperverdrehungen einzige Bewegungen in seiner Tanz-Bild-Performance.
Michael Kunitschs stimmiges Lichtdesign bleibt der einzige Farbtupfer der düsteren Göttersaga, die den Olymp als apokalyptische Totenwelt zeigt.
Als schwarzer und weißer Prometheus konzentrieren sich Marb und sein Partner Matthias Renert auf den abstrakten Kampf, endlich die mehr gezwungene denn versöhnende Annäherung dieser beiden Facetten der Figur. Neben den markerschütternd singenden Sirenen (Christin Mollnar und Yvonne Maria Molena) sind es vier nackte, weiß geschminkte gleiche Figuren, die Prometheus mit seinem vervierfachten Spiegelbild martern und quälen. Das lange Finalbild ist schließlich aber Zeus gewidmet, der aus der Konfrontation mit Prometheus nicht als Sieger hervorgeht. Seine Zigarre umfasst er wie ein langsam verglühendes Zepter mit zitternder Hand, im Angesicht jener vier Untoten sinkt er gebrochen zu Boden. Eine intensive Inszenierung eines kalten Machtkampfs in einer Männer-Götter-Menschen-Welt, die in ihrer starken Bildsprache nach Tiefgang schürft, aber doch nie auf Grund zu stoßen vermag. Am Ende ist diese Welt wüst und leer. Keine Antworten, nicht einmal Fragen bleiben.

Peter M. Boenisch, Süddeutsche Zeitung, 23./24. Mai 2001

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