Pendel-Skulptur Münchner "eisfrei"-Festival: Marbs Butoh- Tanz

Die sechste Runde im Münchner "eisfrei "-Festival: Stefan Maria Marb, Vertreter des japanischen Butoh-Tanzes, präsentierte mit seinem Partner Matthias Renert
"Vision Up-Down" (Muffathalle). Eine wohlgegliederte, passend strenge, gut
getanzte Zwillings-Performance, die auch akzeptieren kann, wer diesen
"Tanz der Finsternis", Japans künstlerische Radikal-Reaktion auf Hiroshima und amerikanisch-westliche Überfremdung, als eine - letztendlich - für Westler
ungeeignete Darstellungsform hält.

Ungewohnt die längsseitige karge Bestuhlung der Muffathalle: ein riesiger dunkler Raum, den die beiden nackten, weißgekalkten Butoh- Männer jedoch ohne Schwierigkeit füllen. Stefan Maria Marb zu Beginn an den Füßen aufgehängt, wie man's schon bei der Gruppe Sankai Juku gesehen hat. Ein zunächst regloser Menschen-Kokon, eine Pendel-Skulptur über einer mondweißen Sand-Insel. Dann minimale Muskelregung, Verschiebung von Schulterblatt, Krümmung der Wirbelsäule, Herauswachsen von seltsam kahlen Flügel-Armen. Darauf das Zeitlupen-Nahen des Zwillings.

Ein Messer zerschneidet das Seil/die Nabelschnur. Und "Ich" und "Es" beginnen ihren synchronen, sich spiegelnden Tanz auf zwei kleinen, weit auseinanderliegenden Inselchen: Herwig Strobel, der Spielmann, der plötzlich, scheinbarer Unruhestifter, aus dem Publikum aufgestanden ist, der nun seiner Braccioline (Kreuzung aus Violine und Viola) zauberisch süße und seltsamschöne Mezzo-Klänge entlockt.
Diese musikalisch westliche Brechung, diese Konfrontation des Nach-innen-Gekehrten mit dem Aus-sich-Herausgehen von Musikant und Instrument ist gelungen….

Malve Gradinger, Münchner Merkur vom 18. Dezember 1997

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Feuertanz um glattes Eis
Stefan Maria Marbs Performance "In-Out"auf Tollwood:


Der scharfe Krokodilzahn spitzt aus einem übermannshohen Eiskubus. Ein anderer Eisblock hält das Fell eines Eisbären gefangen. Ein dritter Ist wie von Blut so rot und befrachtet das vorweihnachtlich gestimmte Gemüt mit Bildern von erschlagenen Robben und abgeschlachteten Walen. Wer die Konsumzelte von Tollwood betreten will, der muß diese Eiskuben von Harry S. passieren. Täglich kommt eine bedrohte Tierart als tiefgekühltes Mahnmal hinzu.

An Gefriertruhen denkt man auch angesichts der beiden beinahe nackten, weiß geschminkten Körper, die kopfunter in 15 Meter Höhe pendeln, akustisch begleitet von schwerem E-Baß-Gewummere und melismenartigen Saxophonphrasen. Abgeseilt von einem Kran des Containerbahnbofs, nähern sich die wie steif gefrorenen Körper den Eiskuben. Aber im Unterschied zu den festgefrorenen Lebewesen unter Ihnen können sie sich von ihrer Körperstarre befreien. Sie ertasten die an Ihren Beinen befestigten Fackeln, lösen sie und zünden sie an. "Hängendes Feuer" nennen Stefan Maria Marb und Matthias Renert von In-Out diesen Part ihres dreiteiligen Performancezyklus
"Visions of Fire". der jedes Wochenende um 18 Uhr am Eingang des Tollwood-Geländes zu sehen ist.

Das Zusammentreffen mit den Eiskuben von Harry S. war zufällig. Nun werden sie einbezogen in die Feuer-Visionen Stefan Maria Marbs. Schon als Kind, sagt er, faszinierten ihn Kerzen an Adventskranz und Weihnachtsbaum. ,Feuer ist für mich das wichtigste Element. "Es ist archetypisch, symbolisiert Leben und Wärme und hat eine transformierende Wirkung, sagt der Choreograph. Auch in seinen vom Butoh inspirierten Stücken tauchen immer wieder Fackeln auf, hier aber - in der Verbindung von Feuer und Eis, mystischem Zauber und moderner Technik - wirken sie besonders stark.

Auf dem Boden angekommen, treffen die Tänzer auf zwei weitere Fackelträger. Flammen sausen durch die Luft, lecken an zwei langen Stangen entlang. Der Geruch des Petroleums und die Wärme des Feuers werden intensiver; unweigerlich weicht man zurück, "Es ist ein Grenzgang", sagt Marb, "weil wir sehr nah an das Publikum herangehen, Aber es ist noch nie etwas passiert, außerdem haben wir immer einen Feuerlöscher dabei. "Langsam finden die Tänzer auf einer kleinen Bühne zusammen. Bis die Fackeln verloschen sind, zucken sie und winden sich. Ist da nicht doch Gänsehaut auf den nackten Körpern zu entdecken? "Vorher und nachher friere ich, während der Performance bin ich so konzentriert, dass ich keine Kälte spüre", sagt Marb und verweist auf die Isolierende Wirkung der weißen Körperschminke. Eine brennende Tonne bleibt übrig vom ganz und gar beeindruckenden Feuerzauber. (Noch einmal vom 20. bis 22.12. jeweils um 18 Uhr.)

Katja Schneider, Süddeutsche Zeitung vom 19.12.1996

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