Etymologie:


bu-yoh traditioneller, regelgeleiteter japanischer Tanz

bu-toh stampfender, freier Tanz


Butoh- zeitlose Sprache des Körpers

BUTOH ist ein Tanz aus Japan, der dort in den 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts entstand. Japan hatte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur den Schock der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki zu überwinden, sondern erlag auch wirtschaftlich und kulturell westlichem Einfluss. In Folge entstand ein kultureller Identitätsverlust des Inselvolkes.

Mit zunehmender Verwestlichung wuchs auch der Widerstand gegen die Entfremdung. Im Zentrum der Megapolis Tokio trafen sich Künstler aller Sparten auf der Suche nach einer neuen Identität. Butoh- eine Weile auch Ankoku Butoh gennannt, was Tanz der Dunkelheit oder Finsternis bedeutet -entstand im subkulturellen Klima der Großstadt. Der Tanz wandte sich einerseits gegen den westlichen "modern dance" und andererseits gegen die erstarrten Formen des "Nihon Buyo", den japanischen, traditionellen Bühnentanz. Durch Rückgriff auf archaische Ausdrucksmittel wie Nacktheit, Körperbemalung, Grimassierung, Meditation und Trance sowie durch die Verwendung einer Fülle von Attributen und Requisiten aus der Folklore und dem Alltag, entwickelte sich experimentell eine eigenständige Performancekunst.

Im Butoh werden die Urprünge des Daseins ergründet, Erinnerungen und Unbewusstes gehören ebenso dazu, wie das Leben und der Tod. Charakteristisch dafür sind u.a. die Entindividualisierung des Körpers, die Expressivität der Gesten und Posen, die extreme Langsamkeit der Bewegungen, der Verzicht auf ein logisches Handlungsgerüst sowie die Entwicklung einer Metaphorik des Unbewussten. Butoh ist eine einzigartige Sprache, in der auf die Stille gehört, auf die Leere geschaut wird.

Ein Teil der Geschichte des Butoh ist mit dem deutschen expressionistischen Tanz verbunden, bei dessen wichtigsten Repräsentanten Rudolf von Laban und Mary Wigman schon in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts japanische Tänzerinnen und Tänzer in die Lehre gegangen sind. Bei ihrer Rückkehr nach Japan haben sie in eigenen Tanzstudios Theorie und Praxis des Ausdruckstanzes gelehrt. Dort nahmen die Gründer des Butoh, Kazuo Ohno und Tatsumi Hijikata, ihren ersten Tanzunterricht. Hijikata markierte 1959 mit der Vorstellung „Kinjiki“ (verbotene Farbe) nach einem Roman von Yukio Mishima den Anfang des Butoh. In den 70er Jahren hörte Hijikata auf, selbst zu tanzen und begann für andere Tänzer zu choreografieren und zu inszenieren. Mit seiner wichtigsten Tänzerin Yoko Ashikawa hat er einige der markantesten Stilmerkmale des Butoh erarbeitet. Beispielsweise das meditative Gehen mit gebeugten Knien (Slow Walk), endlos fließende, organische Bewegungsabläufe, shirome- die hochgedrehten weißen Augen, ekstatische Gefühlsausbrüche. Hijikata wird als der Architekt des Butoh betrachtet, Ohno hingegen als die Seele. Der ehemalige Sportlehrer ist jahrelang mit Hijikata zusammen aufgetreten, sein eigentlich spektakuläres coming out erlebte der 71jährige allerdings mit einem Solo „Hommage a La Argentina“, worin Ohno seine Begegnung mit der berühmtem spanischen Tänzerin verkörpert. Mit diesem Solo wurde Butoh weltberühmt. Im Soge dessen konnten sich einige Epigonen der beiden Butohväter mit ihrer Kunst in Europa und den USA etablieren: Min Tanaka, Yoshito Ohno, Ushio Amagatsu, Ko Murobushi, Akaji Maro und Carlotta Ikeda.
1986 starb Hijikata und tanzte auf dem Sterbebett im Kreise seiner Kollegen seine letzte Performance.
Heute ist Butoh auf der ganzen Welt vertreten, es lebt und entwickelt sich ständig weiter. Im Zeitalter einer allgegenwärtigen Digitalisierung und Beschleunigung des Lebens im Alltag und ebenso in der Kunst setzt Butoh einen wichtigen Kontrapunkt, es entschleunigt und stellt den fragilen Menschen in all seiner Vergänglichkeit in den Mittelpunkt.

Literatur:

Butoh, Die Rebellion des Körpers, Ein Tanz aus Japan,
Michael Haerdter und Sumie Kawai,
Alexander Verlag Berlin 1986

Die Enstehung des Butoh, Lucia Schwellinger,
iudicium Verlag GmbH München, 1998

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